Page 18 - Wangerland Flaschenpost 2 2023
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#LAND UND LEUTE
         Mörder und Halunken








           in Tausenden von Büchern




        In Jever lockt ein neues Krimimuseum. Nicht nur mit mehr als 8000 Büchern aus vielen
        Jahrzehnten, sondern auch mit einem Sammler und Literaturkenner, der überaus unterhalt-
        same Führungen durch sein Museum anbietet. Und einmal in der Woche auch spannende
        Lesungen.



           ür Krimifans – oder überhaupt Lieb-  schichten und Helden heute moderner   ler geworden, weil ich mir das auch an-
        F haber des gedruckten Wortes – gibt   sind, die Schreibstile völlig anders, die   eignen wollte“, erklärt er.
        es in Jever seit diesem Jahr ein ganz be-  Lesegewohnheiten verändert.
        sonderes Angebot: Der Jeveraner Mirko                                Das Museum
        Schädel besitzt die bundesweit größte   Der Sammler                  Im  vergangenen  Jahr zog Schädel zu-
        Sammlung an Kriminalliteratur, sie zählt   Mirko Schädel ist gelernter Schriftsetzer   rück  in  seine  Heimatstadt  und  machte
        um die 8600 Bücher und umfasst Lite-  und hat anschließend jahrzehntelang als   sich auf die Suche nach einem Ort für
        ratur von etwa 1700 bis 1945. Jetzt hat er   Grafiker gearbeitet, die meiste Zeit bei   sein Krimimuseum. Er wurde fündig in
        sie in einem Museum zusammengefasst.   Gruner und Jahr in Hamburg. Ohne den   den Räumen  einer ehemaligen  Kera-
        Wer will, kann hier einiges lernen über   Sammler Schädel ist das Museum kaum   mikwerkstatt im Zentrum von Jever, wo
        Morde, Diebe und Gauner, und wie sie   zu verstehen, im Grunde hat es seinen   nun der Großteil seiner Bücher steht,
        früher für Schaudern, Gruseln und Rät-  Ursprung sogar im Haus der Großmut-  in  Vitrinen und alten Schrankwänden.
        seln sorgten. Das Museum  verspricht   ter,  wo Frank Heller im Bücherschrank   Anfassen  darf man  sie nicht  und kau-
        eine Reise in die literarische Unterwelt.   stand. „Ich war natürlich zu klein, um das   fen kann man sie schon mal gar nicht.
        Und zwar jenseits populärer Krimis.   alles richtig zu verstehen, aber die Bü-  Man kann aber einiges lernen über die
                                           cher haben eine Welt in mir geschaffen,   deutschsprachige Kriminalliteratur, über
        Denn wer kennt schon Frank Heller? Im-  die mir gefallen hat“, sagt der Sammler   deren Moden und  Trends, und sicher
        merhin der erste erfolgreiche schwedi-  bei einem Besuch in seinem Krimimu-  auch über die gesellschaftlichen  Ver-
        sche Krimiautor, eine Art Vorläufer von   seum. Er habe sich eben gut unterhal-  hältnisse, die dieses  bestimmte Litera-
        Henning Mankell, Stieg Larsson und   ten gefühlt. Es blieb nicht bei Heller. Es   turgenre hervorbrachte.  Wer  will nicht
        Arne  Dahl.  Heller  lebte  und  schrieb   folgten  Kafka,  Faulkner,  Dostojewski,   gern wissen, was es mit dem „Klub der
        schon um die  vorletzte  Jahrhundert-  alles schon als Teenager verschlungen.   Selbstmörder“ auf sich hat oder mit Et-
        wende.  „Seine  Bücher  sind  witzig,  in-  „Lesen ist eine Kulturtechnik, die man   hel King, einer frühen weiblichen Ver-
        telligent und ironisch“, sagt dazu Mirko   auch trainieren kann“, sagt er dazu.  sion von Sherlock Holmes?
        Schädel, der Heller natürlich kennt. Sei-
        ne erste Begegnung mit den Büchern   Aber eigentlich lief dann doch alles auf   Schädel bietet dazu  jeden Nachmittag
        des Schweden liegt lange zurück: Ein   die Kriminalliteratur hinaus. Keine mo-  drei Führungen an, um 14:30 Uhr, um
        Schüler sei er noch gewesen, berichtet   derne, wohlgemerkt, sondern alte, die   16 Uhr und um 17:30 Uhr. Das Museum
        der heute 55-Jährige, als er die Bücher   frühere Gesellschaften und Lebens-  am Kirchplatz in Jever ist jeden Tag von
        von Heller aus dem Schrank seiner Oma   welten widerspiegelt. Moderne Krimis,   14 bis 18:30 Uhr geöffnet.
        zog und anfing, sie durchzuschmökern.  sagt Schädel selbst, kenne er gar nicht.
                                           Beim Zug durch die Antiquariate stieß er   Man kann bei diesen Führungen üb-
        Aus der ersten Begegnung mit älteren   oft auf Ablehnung, so etwas führe man   rigens auch etwas lernen über das Le-
        Krimis wurde wachsendes  Interesse,   nicht, hieß es dann, manchmal gab es   ben eines Sammlers,  der eigensinnig
        ein Suchen und Stöbern nach mehr und   vielleicht ein paar Edgar-Wallace-Aus-  und hartnäckig seine Beute sucht und
        schließlich  eine  ausgewachsene  Sam-  gaben. „Diese Ignoranz, das hat mich   findet. Schädel erzählt überaus unter-
        melleidenschaft. Das Ergebnis ist die mit   geärgert“, sagt er. Und weil ihn offenbar   haltsam Anekdoten aus seiner mehr als
        Abstand größte Sammlung dieser Art in   auch eine gewisse Hartnäckigkeit aus-  30-jährigen Sammelleidenschaft. Und er
        Deutschland,  sagt  Schädel,  und  zu  se-  zeichnet, suchte er und suchte, er fand   ist ein guter Vorleser. An Samstagnach-
        hen ist sie in seiner Heimatstadt Jever,   dies und das, bei anderen Sammlern   mittagen bietet er meist eine Lesung an,
        gleich gegenüber der Kirche. Ein Blick   oder auch in Adels- und Schlossbiblio-  aus einem seiner Bücher. Das muss nicht
        in die Unterwelt früherer  Jahrhunder-  theken. Und er fackelte nicht lang, zog   immer eine Kriminalgeschichte sein, ist
        te: Grusel, Schaudern, Entsetzen, Span-  das mitgebrachte Bargeld aus der  Ja-  es aber oft.
        nung – was die Leser früher faszinierte,   ckentasche und kaufte. Das geht schon
        reizt sie noch heute. Auch wenn die Ge-  seit Jahrzehnten so. „Ich bin Krimisamm-


     18  Flaschenpost — Gästezeitung 02/23
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