Page 11 - Wangerland Flaschenpost 1 2023
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#STRAND, WATT UND MEER
Tankstelle
Wattenmeer
o beschaulich und ruhig das Wattenmeer oft wirkt, Herbstzug (nach Süden) ist im September und Oktober am
S es gibt Zeiten im Jahr, da trügt dieser Schein gewal- intensivsten. Dann ist an der Nordseeküste und im Watt
tig. Dann stellt der Betrieb in diesem Küstenstrich den am also am meisten los.
Frankfurter Flughafen weit in den Schatten - jedenfalls aus Warum die Tiere hier Rast machen? Das hängt mit den Ge-
Vogelsicht. Jetzt, im Frühjahr, ist das gut zu beobachten, zeiten im Wattenmeer zusammen, mit der Tatsache also,
auch an der Küste des Wangerlands. Wer den richtigen dass das Meer sich alle paar Stunden zurückzieht und den
Zeitpunkt erwischt, kann ein atemberaubendes Spektakel Meeresboden freigibt. Das ist dann in etwa so, als würde
erleben: Tausende Vögel, die sich auf einmal aus dem Watt der Kellner die Speiseglocke vom gefüllten Teller heben.
erheben und davonfliegen. Das sind Eindrücke, die man Am Boden des Wattenmeers öffnet sich bei Ebbe ein äu-
nicht so schnell vergisst.
ßerst reichhaltiges Buffet für die Vögel. Der dunkle Schlick
Zweimal im Jahr wird allein das niedersächsische Watten- ist ein reich gedeckter Tisch: In einem Quadratmeter le-
meer zur Drehscheibe für mehr als zwei Millionen Zugvö- ben bis zu 300 Herzmuscheln, 100 Wattwürmer, 100.000
gel: Im Frühjahr geht es hoch in die Brutgebiete Skandi- Schlickkrebse und 30.000 Wattschnecken.
naviens oder Sibiriens und im Herbst wieder zurück in das Davon können viele Vögel satt werden. Nicht wenige
mildere Klima Südeuropas oder Afrikas. Eine lange Strecke, überwintern auch im Wattenmeer und fliegen von hier aus
auf der auch mal Rast gemacht wird. Die längste Pause fin- hoch in ihre nördlichen Brutgebiete. Allerdings liegt beim
det stets im Wattenmeer statt, und dann meist auch gleich Thema Vogelzug noch einiges im Dunkeln; auch wenn die
für mehrere Wochen. Hier wird ordentlich gefressen, um Menschen schon lange versuchen, ihrem Verhalten auf
Energie zu tanken für den zweiten Teil der Reise. Die Rast- die Spur zu kommen. Vor allem in den letzten Jahrzehnten 15. Zugvogeltage
zeiten variieren, was mit dem Wetter und zunehmend auch versuchten Wissenschaftler und Ornithologen mit immer im Nationalpark
mit dem Klimawandel zusammenhängt. Aber grundsätzlich moderneren Methoden herauszufinden, wohin die Tiere
gilt: Der Zug in Richtung Brutgebiete (also nach Norden) eigentlich genau fliegen. Und welche Routen sie bevor- Niedersächsisches
konzentriert sich auf den Zeitraum von März bis Mai. Der Wattenmeer
zugen.
Von einer weiß man es ganz genau: Im Mai 2011 ging
Vogelforschern vor der Insel Wangerooge eine Pfuhl-
schnepfe ins Netz. Sie wurde mit einem winzigen Satelli- Veranstaltungs-Tipp
tensender versehen und wieder in die Freiheit entlassen. Vom 14. bis zum 22. Oktober 2023 dreht sich an
UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer Pfuhlschnepfen überwintern in Westafrika und haben ihre der niedersächsischen Nordseeküste und auf den
Brutgebiete in der offenen Tundra und in Taigamooren von Ostfriesischen Inseln wieder alles um Zugvögel,
Nordskandinavien bis Sibirien. Auch sie bedienen sich auf die im Herbst zu Tausenden aus dem hohen Nor-
dem Wege gern im Wattenmeer. Der besenderte Vogel den ins Wattenmeer kommen.
lieferte erstaunliche Erkenntnisse: Nach einigen Wochen Zahlreiche Veranstaltungen
Rast am hiesigen Meeresboden-Buffet startete er von zum Vogelzug finden auch im
Wangerooge aus und brauchte bis zu seinem Brutgebiet Wangerland statt.
Wangerland in der Tundra dreieinhalb Tage. Das sind knapp 5500 Kilo-
meter praktisch im Nonstop-Flug.
Der Vogelzug ist aber nicht nur für Ornithologen interes- Scan mich!
sant, auch die Gäste wollen oft mehr wissen über das Ver-
halten der Vögel. Naturtourismus wird immer populärer,
wissen auch die Touristiker und bieten deshalb viele Ver-
anstaltungen rund um den Vogelzug an. Hier lohnt sich im-
mer eine geführte Wattwanderung, denn die Wattführer
kennen ihr Revier genau und wissen meist, welche Vogel-
arten gerade in der Nähe sind.
10 Flaschenpost — Gästezeitung 01/12